Am 17. Dezember, also in zwei Tagen, ist der Internationale Tag gegen Gewalt an Sexarbeiter_innen, an dem an vielen Orten weltweit wieder Veranstaltungen und Aktionen stattfinden werden (zu finden unter anderem hier
oder hier
), die Kriminalisierung und Diskriminierung von Sexarbeiter_innen thematisieren. Hier folgt nun noch ein Kommentar zu dem „Appell gegen Prostitution“ von Alice Schwarzer – das Thema ist und bleibt aktuell, auch angesichts der Gesetzesvorhaben der Koalition von CDU/CSU und SPD, die sich absehbar in eine restriktivere Richtung bewegen werden.
Almost as soon as women began to migrate in great numbers …,
stories of ‚white slavery‘ began to circulate.
Bereits vor Erscheinen ihres Buchs „Prostitution – ein deutscher Skandal“ im November richtete Alice Schwarzer in der Zeitschrift Emma einen Appell gegen Prostitution An die Bundeskanzlerin und den Bundestag. Sexarbeiter_innen des neu gegründeten Berufsverbands erotische und sexuelle Dienstleistungen reagierten mit einem (Gegen-)Appell FÜR Prostitution. Während dort betont wird: „Prostitution ist eine berufliche Tätigkeit, bei der sexuelle Dienstleistungen gegen Entgelt angeboten werden“, fallen im Emma-Appell Prostitution, Frauenhandel, Sklaverei („white slavery“) zusammen; Prostitution soll „abgeschafft“ werden. „Weiße Sklaverei“ ist auch der Titel eines Auszugs aus dem Buch von Alice Schwarzer, der Anfang November in der Wochenzeitung der Freitag erschien.
White Slavery
Die Erzählung von der „weißen Sklaverei“ breitete sich um das Ende des 19. und den Anfang des 20. Jahrhunderts aus. Historiker_innen messen ihr angesichts weniger tatsächlicher Belege einen mythischen (gesellschaftserklärenden und -strukturierenden) Charakter bei und betrachten sie als „moralische Panik“ einer sich vor dem Hintergrund von Industrialisierung, Urbanisierung und zunehmender (weiblicher) Migration in die Städte und in andere Kontinente ändernden Gesellschaft. Die Erzählung handelte von Moral und auf das Sozial- und Sexualverhalten alleinstehender arbeitender (proletarischer) und migrierender Frauen gerichteten Befürchtungen; sie mündete in die Dichotomie des weißen Opfers, jung, naiv, unschuldig, dessen Gegenseite ein als Anderer konstruierter Täter (nicht-weiß, immigriert, …) wurde. Sie hob auf die besondere Verletzlichkeit weißer Frauen ab und beinhaltete, dass ihre Versklavung als anders und schwerwiegender anzusehen wäre als „schwarze Sklaverei“. Als Ressource für Reglementierungen entlang von gender, race und class führte sie zu internationalen Abkommen und Initiativen in europäischen und amerikanischen Staaten.
Zum Beispiel: Im Januar 1910 verabschiedete der Kongress in den USA den „White Slave Traffic Act“ (nach seinem Urheber James R. Mann auch „Mann Act“ genannt), der die Verbringung von Frauen über Bundesstaatsgrenzen zu „unmoralischen Zwecken“ unter Strafe stellte. Das vorgeblich gegen (erzwungene) Prostitution gerichtete Gesetz schränkte die weibliche Bewegungsfreiheit zwischen Bundesstaaten ein und kriminalisierte unerwünschte einvernehmliche Beziehungen. Als eines der frühen prominenten Opfer dieses Gesetzes wurde 1913 Jack Johnson, der erste schwarze Boxweltmeister im Schwergewicht, für seine Beziehungen zu weißen Frauen verurteilt. 1914 bezogen sich über 70 % der Verurteilungen von Frauen auf ihren freiwilligen Transport für Prostitution oder andere unmoralischen Zwecke.
Rassismus, Unmündigkeit und Regulationismus
Erschreckend im Schwarzer-Appell ist nicht nur in diesem Zusammenhang die begriffliche Ausbürgerung nicht nachweisbar biologisch deutscher Frauen*, indem der Text trennt zwischen „deutschstämmigen“ (!) Prostituierten und „Ausländerinnen“; die Letzten werden unmittelbar mit „Armuts- und Zwangsprostitution“ verbunden. Zudem bagatellisiert die inflationäre Verwendung des Begriffs der Sklaverei (= Prostitution) millionenfachen historischen Sklavenhandel und Sklaverei.
Parallelen drängen sich auf. Ein Aufsatz in der Zeitschrift Osteuropa spricht von einer „Abgrenzungskrise“, in der sich die europäischen Staaten seit dem Umbruch von 1989 befänden. „Sex-trafficking-Diskurse definieren und verorten diese Verletzungen der Souveränität mit Hilfe von geschlechtsspezifischen und rassistischen Zuschreibungen wie „hilflose weiße Opfer“, „dunkle Kriminalität“ und „eine verletzte politische Gemeinschaft“. Mit dem Begriff des Frauenhandels, von Frau Schwarzer wiederum mit Prostitution in Eins gesetzt, wird die Staatsgrenze zum Tatort; die geschlechtlich zugeschriebene Rolle des eigentlich migrationsunwilligen Opfers lässt eine gegen die unregulierte (weibliche) Mobilität gerichtete Grenz- und Sicherheitspolitik gerechtfertigt erscheinen. Tatsächlich wird weibliche Migration – in prekarisierte Arbeitsbereiche und insbesondere zum Verkauf von Sex – öffentlich-medial häufig nicht als solche, sondern wesentlich unter der Prämisse des Menschenhandels behandelt.
Martina Löw und Renate Ruhne beschreiben für Frankfurt die Verdrängung der Sexarbeiter_innen aus dem Straßenbild als Prozess der „Verhäuslichung“, mit dem sich auch die Rolle und Wahrnehmung der Prostituierten, die in einem eher männlich konnotierten öffentlichen Raum handelten, zu einer passiveren wandelte. „In der Konsequenz geht es um die ‚Reinigung‘ des öffentlichen Raums von Handlungsformen und Symbolen, die mit Dreck, Vulgarität, Lasterhaftigkeit, Unanstand oder Faulheit assoziiert werden.“ Mit dem Verschwinden der „Straßenkultur der als Unterschicht wahrgenommenen Prostitutionsszene“ werde eine deutliche räumliche Grenze zu der „soliden Frau“ hergestellt.
Im Schwarzer-Appell wird auch erklärtermaßen freiwilligen Sexarbeiterinnen (männliche Sexarbeit kommt nur am Rand vor, Trans-Sexarbeiter_innen überhaupt nicht) ein menschenwürdiges Leben abgesprochen; damit wird nicht nur in der ethnisierenden Konstruktion der „Dritte-Welt-Prostituierten“ das Geschlechterbild der unmündigen Frau (re-)produziert. Zudem schließt der Appell die normative Erwartung an, dass sich „normale“ weibliche Sexualität ausschließlich auf die gesellschaftlich positiv sanktionierte, (immer noch vorzugsweise) heterosexuelle Liebe und Paarbeziehung richtet (in dem in der Wochenzeitung der Freitag veröffentlichten Auszug geht es dann endgültig um die heterosexuelle Ehe). Sexualität und Ökonomie („Käuflichkeit“) werden als in anderen Beziehungen unverbunden gesetzt; das sind sie selbstverständlich nicht (auch wenn dadurch nicht jede wirtschaftliche Beziehung gleich Sexarbeit wird). Die Aussagen, das „System Prostitution … überschattet die Gleichheit der Geschlechter“ und „brutalisiert das Begehren“ schaffen eine scheinbare gesellschaftliche Idylle, als wäre Gleichheit sonst hergestellt und psychische, physische, sexualisierte Gewalt jenseits von Sexarbeitsverhältnissen abwesend.
„Der Regulationismus“, stellt Laura María Agustín fest, „der sozialen Konflikt durch Legalisierung einiger Formen von Sexarbeit entschärfen will, konstruiert nicht-regulierte Formen als illegal (und gewährt den Arbeitenden selten Arbeitsrechte).“ Die trotz des Prostitutionsgesetzes von 2002 weiterhin rigide Reglementierung trifft gerade die unter prekärsten Bedingungen Arbeitenden, häufig Migrant_innen, die mehrfach ausgeschlossen werden (aufgrund des Geschlechts, als „Ausländer_innen“ und „Prostituierte“). (weiter…)